"Lebensgeschichte meint die Ereignisse eines individuellen Lebens, die das Denken, Fühlen
und Handeln beeinflussen und mitgestalten. Die Ereignisse sind Teil der eigenen Identität."
(T. Schulze)
Begleitung von Menschen mit einer geistigen Behinderung bei dem Abschied von
einem verstorbenen Elternteil
Bei der Lebensgeschichte der Menschen mit geistiger Behinderung
spielen Eltern eine große Rolle. Nicht nur, dass Söhne und Töchter mit geistiger
Behinderung in der Regel viel länger auch als erwachsener Mensch noch im
elterlichen Haushalt leben, selbst nach einem Auszug in eine Wohnstätte
ist die Beziehung zu den Eltern intensiver und für das Leben der Söhne und
Töchter bestimmender als bei gleichaltrigen nichtbehinderten Menschen.
Die Eltern sind die Wurzeln, sozusagen das Dach über dem eigenen Leben.
Sind die Eltern verstorben, fühlt sich selbst ein erwachsener Mensch plötzlich
als Waise.
Da die meisten Menschen mit geistiger Behinderung keine eigene Familie gegründet
haben, bedeutet der Tod der Eltern den plötzlichen Verlust von Familie,
einen jahrelang gewohnten Ort mit sehr vertrauten Menschen, an dem man bei
aller Ambivalenz auch versorgt, unterstützt und geliebt wurde.
Die elterlichen Botschaften erweisen sich für das eigene Leben häufig mächtiger
als es für einen selbst aussieht. Wenn der betreffende Elternteil gestorben
ist, können sie sich noch einmal verhärten und fixieren "wie die Inschrift
auf seinem Grabstein" und das weitere Leben zu sehr bestimmen oder auch
blockieren.
Im pädagogischen Alltag nimmt das Problem der Ablösung der Söhne und Töchter
von ihren Eltern und umgekehrt mit allen daraus entstehenden Wechselwirkungen
einen großen Stellenwert ein. Immer wieder geht es darum, die Bewohner/innen
in ihren eigenen Entscheidungen zu stützen und zu stärken und gleichzeitig
die Beziehung zwischen Söhnen und Töchtern und Eltern als tiefverwurzelt
anzuerkennen. Dies ist für pädagogische Mitarbeiter/innen häufig ein Balanceakt,
der sie mit aktualisierten Gefühlen ihrer eigenen Ablösung vom Elternhaus
konfrontiert.
Häufig können die Bewohner/innen noch nicht einmal von der elterlichen Wohnung
Abschied nehmen. Die Verwandten lösen den Haushalt auf, manchmal werden
einzelne Möbelstücke in der Wohneinrichtung verteilt. Die Wurzeln und somit
ein großer Teil der eigenen Identität drohen zu zerfließen, lösen sich scheinbar
auf.
Der Tod der Eltern der Bewohner/innen ist ein einschneidender Punkt in ihrer
individuellen Lebensgeschichte, eine tiefe Krise. Die Bewohner/innen in
dieser Situation zu unterstützen, bedeutet, sie in ihrem Abschied von den
Eltern zu begleiten, nicht nur von den realen Personen, sondern auch von
den negativen Botschaften. Die vielen positiven emotionalen Taue und Stricke
der lebenslangen engen Beziehung können den Tod der Eltern überleben und
den Bewohner/innen zu einem bedeutenden Teil ihrer emotionalen Sicherheit
werden.
In diesem Seminar soll es um die Begleitung der Bewohner/innen in ihrer
Trauer und in der Phase der emotionalen Desorientierung gehen, wenn sich
die Wurzeln scheinbar auflösen.......
Zielgruppe:
Mitarbeiter/innen in Wohneinrichtungen für Menschen mit einer geistigen Behinderung