"Die emotionale Bewältigung von Veränderungsprozessen:
Supervision als Trauerarbeit"
Zusammenfassung:
Der Gedanke an Wandlung und Veränderung kann ein faszinierender
sein, aber Wandlung ist stets mit Trennung und Verlust verbunden. Dabei
ist das Erleben von Verlust nicht ausschließlich an so einschneidende
Ereignisse wie Tod oder Trennung von einem geliebten Menschen gebunden,
sondern durchzieht unmerklich unser Alltagsleben: der Wechsel des Arbeitsplatzes,
die Überwindung alter Verhaltensmuster oder der Abschied von illusionären
Vorstellungen etc. sind stets Erfahrungen des Verlustes und der Trennung
von etwas Vertrautem. Trauer ist die psychische Reaktion auf Verlust und
Veränderung, und infolgedessen muss davon ausgegangen werden, dass wir
es auch in der berufsfeldbezogenen Supervision mit Trauer-Prozessen zu
tun haben. Die Autorin untersucht, inwieweit die von Kast (1999) entwickelten
Phasen des Trauerns sich auch in der supervisorischen Arbeit auffinden
lassen und der Supervision diesbezüglich die Funktion einer Trauerarbeit
zufällt.
"Si vis vitam, para mortem"
Sigmund Freud (1915, S. 355)
1. Einleitung: Supervision und Veränderung
Der Grundkonflikt von Symbiose und Individuation. Verändern
und Bewahren, zieht sich durch das ganze Leben und entzündet sich an besonderen
Stationen, wie Pubertät, Krisen des frühen Erwachsenenalters (Trennung
von Elternhaus und Liebespartnern), des mittleren Alters (Midlife-crisis)
und des späten Erwachsenenalters (Verlust von Bezugspersonen und Vitalität),
zuletzt der Tod (Abschied vom Leben). Aber auch auf den ersten Blick weniger
dramatische Phasen des Abschieds und der Wandlung können subjektiv als
Verlust erlebt werden. Die Bewältigung all dieser Krisen führt zu einer
persönlichen Weiterentwicklung und Reife, aber dem Menschen wird auf dem
Weg dorthin Heftiges abverlangt, nämlich: immer wieder Abschied zu nehmen
und den Schmerz durch Trauerarbeit zu bewältigen.
Der Anlass einer Supervision ist meist eine Irritation, ein "Patt", eine
berufliche Krisensituation, in der ohne Unterstützung kein Ausweg gefunden
wird. Ein gewisser Leidensdruck, ein Unwohlsein, der Wunsch, durch eine
Begleitung die berufliche Zufriedenheit zu erhöhen oder abzurunden, ist
der Ausgangspunkt für eine nicht immer bewusst ersehnte Veränderung. "So
kommt es, dass sich hinter den vielfältigen Anlässen für Einzelsupervision
fast immer Veränderungswünsche der Supervisanden verbergen" (Heidemann
2000, S. 8). Die Bewältigung und die Loslösung von alten Mustern geschieht
jedoch nicht durch bloße rationelle Einsicht, sondern eher durch ein emotionales
Erleben von Verlust. Oftmals gilt: "Verlust ist ein brutales Geschenk"
(Volkan & Zintl 2000, S.15), und erst nach einem anstrengenden und häufig
leidvollen Prozess der Loslösung und des Abschiedes von alten Verhaltensmustern
können neue Sichtweisen entwickelt und verinnerlicht werden. Intensive
Gefühle, wie Trauer, Wut und Verzweiflung wollen zunächst durchlebt werden.
Hierbei ist die Supervisorin oftmals sowohl Trauerbegleiterin wie auch
"Sparringspartnerin", auf die sich die vorher genannten Gefühle richten,
die sie aushallen (holding) und durch das Erkennen und Benennen von Phänomenen,
wie die der Spiegelung und Reinszenierung, fruchtbar und bearbeitbar machen
kann. Für diesen Prozess ist es wichtig, Widerstände, Abwertung und Wut,
die sich im Prozess gegen die Supervisorin richten, als Teil des notwendigen
Prozesses der Bewältigung zu betrachten.
2. Trauerarbeit in der Supervision
"Trauer ist einfach die psychische Reaktion auf jeden Verlust
oder jede Veränderung - die Verhandlungen, die wir führen, um unsere innere
Welt der Realität anzupassen." (Volkan & Zintl 2000, S. 10). Das Erleben
von Verlust und damit einhergehende Trauer ist nicht unbedingt an so einschneidende
Ereignisse wie Tod oder Trennung von einem wichtigen Menschen, Verlust
des Arbeitsplatzes oder ähnlichem gebunden, sondern durchzieht scheinbar
unmerklich unseren Alltag: "Verluste, selbst wenn es nur um das Verlegen
unserer Wagenschlüssel geht, stellen einen Angriff auf unsere Illusion
der Kontrolle und Vorhersehbarkeit dar" (ebd., S. 21). Ein Gefühl der
Hilflosigkeit, des Verlustes von Sicherheit stellt sich oft auch in scheinbar
banalen Alltags- und Arbeitssituationen ein und erscheint uns, angesichts
der Heftigkeit der Emotionen, zunächst unerklärlich. Einen Zugang zu den
Hintergründen zu finden, bedeutet schmerzvolle Arbeit, bedeutet Trauerarbeit.
Der heute weitverbreitete Begriff der Trauerarbeit ist ursprünglich bei
Sigmund Freud zu finden, der ihn 1917 in seinem Aufsatz "Trauer und Melancholie"
prägte. Freud unterscheidet in dieser Schrift zwischen Trauer und Melancholie.
Beidem geht ein Verlust, ein Abschied voraus. Trauer beinhaltet jedoch
ein Bewusstsein über die Bedeutung des Verlustes (Objektbezug), der im
Zusammenhang mit der Melancholie fehlt. Mit den Worten Freuds ist "bei
der Trauer (..) die Welt arm und leer geworden, bei der Melancholie ist
es das Ich selbst" (Freud 1917, S. 200).
Auch in der Supervision geht es um die Bewältigung von Verlusten, sei
es von alten Verhaltensmustern, von Illusionen, von der Art und Weise,
sich und die Arbeit zu begreifen und vielem mehr. Im Laufe eines gelungenen
Prozesses filtern sich aus der indifferenten Unzufriedenheit der Supervisanden
oder des Teams, die häufig die Motivation für die Supervision ist, durch
den aufklärenden Ansatz der Supervision im Tempo der Supervisanden die
real zu betrauernden Aspekte und ihre Bedeutung für das Empfinden der
aktuellen Arbeitssituation heraus. Beinhaltet Supervision die Begleitung
eines Prozesses der Aufklärung und Veränderung, so ist dies immer mit
dem Abschied von alten Mustern, Einstellungen und emotionalen Konstellationen
verbunden, so dass "immer dann, wenn ein Verlust uns betrifft, wenn wir
uns von etwas trennen müssen, das Trauern notwendig ist" (Kast 1999, S.
159). Der neuen Perspektive, dem veränderten Selbst- und Realitätsbezug,
der auch eine neue Einstellung zu den Problemstellungen der Arbeit beinhaltet,
geht also immer eine Phase des Loslassens, des Verabschiedens und der
Trauer darüber, voraus. Diese gilt es auch in der Supervision zu begleiten.
Aus eigenen Erfahrungen als Supervisandin und auch während meiner Ausbildung
zur Supervisorin verfestigte sich mein Gefühl für Supervision als Chance
für eine Nachreifung. Bei näherer Betrachtung hatten sowohl die persönlichen
Entwicklungsschritte meiner Supervisanden als auch meine eigenen ärgerlicherweise
immer mit Traurigkeit und ihrer Bewältigung zu tun. "Der Gedanke der Wandlung
kann ein faszinierender sein, aber der Preis der Wandlung ist Trennung,
ist Verlust. Wenn wir das übersehen, ... findet kaum eine Wandlung statt:
Denn nur die Emotion der Trauer bewirkt Wandlung, lässt wirklich Abschied
nehmen und macht den Menschen dadurch bereit für neue Beziehungen" (Kast
1999, S. 185) und - das sei angefügt - frei für neue Sichtweisen. Supervision
ist allerdings umfassender als es eine Trauerbegleitung ist, begleitet
sie doch die Supervisanden nicht nur in der aktiven Phase der Bewältigung,
sondern auch über die letzte der noch darzustellenden Phasen der Trauerbewältigung,
der Phase der Neuorientierung, hinaus.
3. Die Phasen des Trauerns in der Supervision
Der Versuch, Trauer in einem Phasenmodell zu beschreiben,
legt den Fokus auf die gleichförmigen Aspekte der Trauer und vernachlässigt
den individuellen Aspekt. Die Bewältigung ist jedoch nicht als ein gradliniges
Durchlaufen dieser verschiedenen Stufen zu verstehen, sondern beinhaltet
immer ein individuelles Tempo, eine Rückkehr zu früheren Entwicklungsabschnitten,
ein nochmaliges schmerzvolles Erarbeiten bereits bewältigt geglaubter
Phasen und ähnliches. Die folgenden Darlegungen orientieren sich an dem
Phasenmodell des Trauerns, das Verena Kast (1999) entwickelt hat und stellen
den Versuch dar, diese Phasen auf ihre Relevanz und Bedeutung auch für
die supervisorische Arbeit zu untersuchen.
3.1 Die Phase des Nicht-Wahrhaben-Wollens
Die erste Reaktion auf einen Verlust, der mit massiven
Leidensdruck verbunden ist, kann die Phase des Nicht-Wahrhaben Wollens
sein. Kast beschreibt sie als eine Schutzmöglichkeit vor zu bedrohlichen
oder überschwemmenden Gefühlen. Die allgemeine Empfindungslosigkeit und
Erstarrung bietet der Psyche eine Art Auszeit, um die Gefühle in derjenigen
Dosierung zuzulassen, wie sie auch verkraftet und bewältigt werden können.
Widerstände in der Supervision können auf diesem Hintergrund eine hilfreiche
Information sein. Stagniert der Prozess der Trauerarbeit an dieser Stelle,
kann es aber weder zur Bewältigung noch zur Weiterentwicklung kommen.
Nicht selten geschieht an solch einem Punkt ein radikaler Beziehungsabbruch.
Dazu ein Praxisbeispiel:
Eine Rechtsanwältin, in einem Einzelsupervisionsprozess, gelangt bereits
in der zweiten Sitzung durch die Fragestellung, ob sie immer ein "gutes
Mädchen" sein muss, über ihren beruflichen Zusammenhang hinaus an biographische
Themen und auch an schmerzvoll erlebte Ähnlichkeiten von Verhaltensmustern
in ihrer aktuellen Partnerschaft. Die Supervisandin erlebt ansatzweise
Trauer, weint intensiv, versucht jedoch danach diesen Themen, die sich
auch im beruflichen Kontext wiederfinden lassen, auszuweichen. Am Ende
dieser Sitzung vermittelt mir die Supervisandin den Eindruck, dass alle
Probleme nun bewältigt seien. In der folgenden dritten Sitzung überrascht
mich die Supervisandin mit einer scheinbaren Klarheit und konsequenten
inneren Haltung (sie äußert sich in einer Weise, als hätte sie plötzlich
in allen Bereichen gründlich aufgeräumt: Beruf, Ehe, Beziehung zur Mutter
...). Dieser Schritt von den Gefühlen zu den konkreten Handlungen geschieht
in einer Geschwindigkeit, die mich schwindelig werden lässt. In der vierten
Sitzung bringt die Supervisandin ihre Tochter mit zur Sitzung. Ich bin
verwirrt und versuche, diese Irritation mit ihr zu besprechen und zu klären.
Dies gelingt nicht so recht. Wenige Tage nach dieser Sitzung erhalte ich
von ihr eine sehr formelle schriftliche Kündigung unseres Vertrages mit
der Bitte um Zusendung meiner Honorarnote.
Durch den abrupten Abbruch der Arbeitsbeziehung, den sie trotz meines
Versuches einer Verabredung zu einer letzten Sitzung zur Auswertung und
Bearbeitung aufrechterhielt, stoppte sie jede Möglichkeit der weiteren
Bearbeitung ihrer Themen. War sie in der zweiten Sitzung durch eine Intervention
- durch die ich, für mich ebenfalls überraschend, den Nagel auf den Kopf
getroffen hatte - ganz nah an ihren Gefühlen, tat sie alles, um diese
bis zur nächsten Sitzung wieder "quitt" zu machen und brach die Supervision
und damit unsere Beziehung ab. Dieser Prozess war für mich mit viel Traurigkeit
und Wut verbunden. Ich fühlte mich wie vor den Kopf geschlagen, ausgenutzt
und entwertet. Erst viel später entwickelte sich bei mir der Gedanke,
dass die Supervisandin sich dann wieder melden wird, wenn sie die Phase
des Nicht-Ertragen-Könnens, des Nicht-Wahrhaben-Wollens im Sinne ihrer
persönlichen Weiterentwicklung überwunden hat oder der Leidensdruck so
extrem wird, dass er sich nicht mehr ignorieren lässt. Leider gab sie
mir keine Chance, sie weiter zu begleiten. So gab es auch keine Möglichkeit,
in der Beziehung ein Gefühl für ihr Tempo zu entwickeln und ihre Reaktion
als eine für sie wichtige Dosierung des Schmerzes zu verstehen, zu akzeptieren
und zu begleiten. Ich reagierte auf diesen Abbruch wütend und verletzt
und konnte mir die Beweggründe erst erklären, nachdem ich meiner Enttäuschung
und meinen verletzten Gefühlen "an meinem Ort" (Lehrsupervision) einen
Platz einräumte und dort in meiner Trauer entsprechend begleitet wurde.
Diese für mich sehr belastende Erfahrung war in meiner weiteren supervisorischen
Arbeit ein wichtiger Anhaltspunkt, um in vergleichbaren Situationen Widerstände,
Abwertungen meiner Person oder eine Stagnation des supervisorischen Prozesses
als möglichen Hinweis auf den latenten Beginn eines Trauerprozesses zu
nutzen.
Zwei Geschäftsfrauen, die gemeinsam eine Damenboutique betreiben, möchten
aufgrund belastender Störungen ihrer Arbeitsbeziehung Supervision. In
der ersten Sitzung wird in einigen Szenen klar, wie verfahren die Arbeitssituation
ist und wie tief die Kränkungen sitzen, die sich beide im Laufe der Jahre
zugefügt haben. Beide Damen benennen einige der Verletzungen und dies
meiner Ansicht nach auch im intensiven Kontakt miteinander. Diese Klärung
ist begleitet von Enttäuschung und Traurigkeit. In der Rückmeldung formulieren
beide, die Sitzung als intensiv und hilfreich erlebt zu haben. Nach dieser
Sitzung gibt es von einer Supervisandin keinen weiteren Kontakt zu mir.
Über die Kollegin lässt sie mir mitteilen, dass sie nicht weiter an der
Supervision teilnimmt. Die allein zurückgebliebene Kollegin entschließt
sich daraufhin zu einer Einzelsupervision, um die Probleme an ihrem Arbeitsplatz
nunmehr ohne die Geschäftspartnerin zu bearbeiten.
Auch in dieser Supervisionsszene schien es so, dass der Abbruch der Arbeitsbeziehung
als Folge des Erlebens in der Phase des Nicht-Wahrhaben-Wollens ist. Erschwerend
kam hinzu, dass - im Nachhinein betrachtet - beide Supervisandinnen in
unterschiedlichen Phasen ihrer Bewältigung waren. So konnte die Kollegin,
nachdem sie die Enttäuschung über den Rückzug der Partnerin in der folgenden
Supervisionssitzung bearbeitet hatte, intensiv über den Verlust einer
viele Jahre lang intakten und freundschaftlichen Arbeitsbeziehung trauern
und durch diesen Trauerprozess offen werden für eine Neudefinition dieser
Beziehung.
3.2 Die Phase der aufbrechenden Emotionen
Der Phase der Empfindungslosigkeit folgt die Phase der
aufbrechenden Emotionen, die sich in Verzweiflung, Ohnmacht, Wut, Zorn,
etc. äußern kann. Kast: "Um wirklich fruchtbringend trauern zu können,
das heißt, um alte Verhaltensmuster aufzubrechen und neue Verhaltensmuster
entstehen zu lassen, scheint es für neue Beziehungs- und Lebensmöglichkeiten
keinen anderen Weg zu geben, als dieses wechselnde Emotionschaos durchzuhalten,
auszuhalten. Das Emotionsbild ist ein Bild für das Chaos allgemein, in
dem Altes verschwindet und Neues sich bilden kann" (ebd., S. 78).
Ein Diplompsychologe, der wegen des Alkoholproblems seines Chefs und
der daraus resultierenden Probleme in der Zusammenarbeit eine Einzelsupervision
bei mir aufnimmt, ist in der fünften Sitzung eng an seinem Vaterthema.
Schon nach einigen Sätzen auf meine Frage nach parallelen Gefühlen im
biographischen Zusammenhang weint er heftig und ist spürbar aufgewühlt.
Wenig später beugt er sich unvermittelt nach vorne und schreit: "lch find
Supervision total Scheiße." Er ist nach diesem Ausbruch ebenso verwundert,
wie ich baff.
Nach einigen Sekunden der desorientierten Stille auf beiden Seiten muss
ich lauthals lachen. Nach einer kurzen Unsicherheit, ob dies nicht meinerseits
eine Art der Vermeidung der Auseinandersetzung sein könnte, war der Impuls
zu lachen für mich derart intensiv, dass er nur stimmig sein konnte. Nachdem
der Supervisand ebenfalls lachte, konnte so der Situation erst einmal
die Bedrohlichkeit und Schwere genommen werden, so dass im Nachhinein
das Gefühl, das hinter dem plötzlichen Ausbruch stand, besprechbar und
bearbeitbar wurde.
Wichtig in dieser Szene war, dass ich den Ausbruch nicht als Bedrohung
oder Entwertung meiner Person erlebt habe, sondern als Ausdruck heftiger
Emotionen in einer zwar belastenden, aber trotzdem aktiven Phase der Bewältigung.
Durch mein Lachen habe ich mich nicht über den Supervisanden lustig gemacht,
sondern ihn in der Befürchtung, die Arbeitsbeziehung aufs Spiel gesetzt
zu haben, entlastet, so dass er ohne Schuld- oder Schamgefühle und ohne
Ängste vor Bestrafung den Ausdruck seiner Gefühle wagen konnte und darin
Bestätigung erfuhr.
Während es in der Trauer um einen Verstorbenen häufig um die Suche nach
einem Schuldigen geht, oder die Emotionen von Wut und Enttäuschung sich
im Sinne einer Bewältigung auch gegen den Toten richten müssen, können
sich die Emotionen in der Supervision nicht nur gegen die realen Personen
im Alltagsleben, sondern auch gegen die Supervisorin selbst richten, die
ja (aus Sicht des Supervisanden) schließlich diesen Prozess zu verantworten
hat.
In einer Teamsupervision (sechs Teammitglieder) in einer Wohneinrichtung
für erwachsene Menschen mit geistigen und schweren Behinderungen ist die
Stimmung zäh und depressiv. Die Bewohner(innen) werden immer älter und
in scheinbar rasender Geschwindigkeit pflegebedürftig. Die Teammitglieder
fühlen sich in ihrer beruflichen Identität immer weniger den Pädagogen
als vielmehr dem pflegerischen Berufszweig zugeordnet. Von Seiten der
Leitung gibt es nach dem Empfinden des Teams wenig Unterstützung. Nachdem
die Veränderung der realen Arbeitssituation und das Thema "Altern, Sterben
und Tod" in der Bedeutung für die Teammitglieder bearbeitet worden ist,
erfahre ich in ganz anderen, scheinbar banalen Zusammenhängen massive
Aggressionen vonseiten des Jahrespraktikanten, der in vielen Szenen das
Teamthema und die Stimmung repräsentiert.
Die Aggression äußerte sich in einem, von mir als heftig empfundenen,
Infragestellen meines Menschenbildes. Unterschwellig wurde ich von Beginn
an von ihm entwertet, so wie sich auch das Team entwertet fühlte. Nachdem
ich dies ansprechen konnte und es noch einige Sitzungen lang sehr depressiv
war, entschieden sich drei Teammitglieder zu kündigen. Zwei dieser drei
setzten diesen Entschluss anschließend auch in die Tat um, der Dritte
blieb in der Institution. Nach dieser Entscheidung ging die supervisorische
Arbeit sehr konstruktiv weiter. Das Team konnte effektiv an den eigenen
Anteilen, die zu dieser Blockierung beigetragen hatten, arbeiten.
Der Abschied von der alten Vorstellung der Arbeit mit den Bewohner(inne)n
ging nicht nur mit depressiven Gefühlen, sondern auch mit Aggressionen
einher. Diese äußerten sich in Richtung der Leitung, aber auch in meine
Richtung. Danach konnte es zu einem Wendepunkt im Sinne einer Veränderung
kommen. Seitdem arbeitet das Team konzeptionell an einer Perspektive.
Aufbrechende und ausbrechende Emotionen spielen in der Bewältigung von
Veränderungen und der damit einhergehenden Trauer eine wichtige Rolle.
In der Supervision sind sie für beide Seiten zunächst erschreckend. Die
Supervisorin hat die schwierige Aufgabe, sie zu verstehen und zu halten,
zum Teil auch auszuhalten, um damit den Supervisanden die Möglichkeit
zu geben, diesen Gefühlen ohne zensierende Bewertung Ausdruck zu verleihen.
Erst dann können sie integriert und somit langsam bewältigt werden.
3.3 Die Phase des Suchens und Sich-Trennens
Diese Phase lässt sich nur im übertragenen Sinne einem
Supervisionsprozess zuordnen. Bezogen auf die Trauerarbeit um einen verstorbenen
Menschen ist dies die Phase, in der die Trauernden den Verstorbenen aktiv
suchen (Sehnsucht nach Symbiose), sich wiederholt mit ihm auseinandersetzen,
um sich dann Stück für Stück zu trennen (Individuation). Kast: "Das Suchen
geschieht unwillkürlich. Die Trauerarbeit scheint mir dort gelungen zu
sein, wo das Finden immer wieder ein Aspekt des Sich-Trennen-Müssens,
des Verlassen-Müssens folgt und wo diese Trennung akzeptiert wird" (ebd.,
S. 81). Auch alte Muster, vertraute Verhaltenweisen und Haltungen werden
immer wieder aktiviert und aufgespürt, um sie nach einem intensiven und
zum Teil schmerzhaftem Bearbeiten langsam verändern zu können.
In der Supervision ist dies die Phase, in der in vielen von den Supervisanden
angebotenen Szenen das eigentliche Thema verborgen ist und mit Unterstützung
der Supervisorin in einem gemeinsamen Prozess des Verstehens zu Tage und
damit ins Bewusstsein gehoben wird (Phase des Suchens). Erst danach ist
eine Neuorientierung und Veränderung möglich (Trennung).
Eine Einzelsupervisandin, von Beruf Sozialpädagogin, wechselte von
einer Wohnstätte für Menschen mit geistigen Behinderungen in eine Außenwohngruppe
mit sehr selbständigen Bewohner(inne)n. Diese Außenwohngruppe sollte sie
als neue Wohnform in ihrer Rolle als Gruppenleiterin gänzlich neu aufbauen.
Die Arbeit mit den Bewohner(inne)n in der Wohnstätte, die wesentlich mehr
Unterstützung benötigten, ließ sich nicht einfach auf die Arbeitsinhalte
der Außenwohngruppe übertragen. In der Wohnstätte war nach dem Empfinden
der Supervisandin alles strukturierter und kuscheliger. Aufgrund des hohen
Grades an Selbständigkeit der Bewohner(innen) ging es in der Außenwohngruppe
weniger darum, zu beschützen und zu betreuen, sondern eher zu assistieren
und mitunter auch Risiken einzugehen.
Zu Beginn der Supervision war die Supervisandin in ihrer neuen Rolle orientierungslos.
In dem folgenden Prozess ging es zunächst darum, sich von Teilen der früheren
Arbeitsweise zu verabschieden, den Bedürfnissen der Außenwohngruppenbewohner(innen)
entsprechend neue Verhaltensmöglichkeiten zu entwickeln, aber auch einige
alte Arbeitseinstellungen und -weisen zu übernehmen und auf den neuen
Bereich zu übertragen. Es folgte ein langer Prozess, der immer wieder
verunsichernde Alltagsszenen auf dem Hintergrund der Veränderung ihrer
professionellen Haltung zum Inhalt werden ließ.
Die Supervisandin, die zur Zeit der Supervision möglichst allen Bewohner(inne)n
jegliche Krise "wegbetreuen" wollte, um sie ihnen zu ersparen, habe ich
einige Zeit nach dem Ende des Supervisionsprozesses zufällig wieder getroffen.
Auf die Frage, wie es ihr gehe, erzählte sie mir von einem Bewohner der
Außenwohngruppe, der sich von seiner zwanzig Jahre andauernden Partnerschaft
gelöst hat, danach zum Alkohol griff und kurzzeitig ausgezogen war. Nach
dem Erzählen der aktuellen Geschehnisse beschrieb sie ihre Zuversicht,
dass er sich nach diesem Schritt durch die Krise in jedem Falle für sich
positiv weiterentwickeln würde und diese Zeit nun brauche, um zu trauern
und zu verarbeiten. Sie hatte die neue Sichtweise nun so weit in ihr Menschenbild
und ihre Arbeitsweise integriert, dass sie, auch in einer Akutsituation,
darauf einen Zugriff hatte. Dies war nur aufgrund der langandauernden
Phase des Suchens und Sich-Trennens von alten Sichtweisen in ihrem Lernprozess
möglich.
In meiner Reflexion erschien es mir, dass der Bewohner auf diesem Hintergrund
und mit der Gewissheit einer haltenden Begleitung den Mut aufbringen konnte,
sich von seiner nahezu lebenslangen Partnerschaft zu trennen.
Bezugnehmend auf den Drei-Schritt Freuds "Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten"
(1913-17) möchte ich die Phase des Suchens und Sich-Trennens dem "Durcharbeiten"
zuordnen. Diese Phase ist sicherlich sowohl für die Supervisanden als
auch für die Supervisorin eine sehr anstrengende Phase des Prozesses.
Durcharbeiten "bietet die Gelegenheit, die Verlust- und Verlassenheitsgefühle
sowie die Traurigkeit zu durchdenken und zu erleben, die zugleich mit
Arger, Enttäuschung, Wut und Schuld verbunden sind" (Redding Mersky 1999,
S. 67). Es ist eine aktive Phase, in der sich Supervisanden den alten
Mustern immer wieder annähern, sie für sich testen und bewerten (durcharbeiten),
um sich dann Stück für Stück davon zu lösen. Jeder Supervisand hat hier
sein individuelles Tempo. Dies zu sehen, zu akzeptieren und zu berücksichtigen,
ist eine hohe Anforderung an die Sensibilität und Geduld der Supervisorin.
Es bedeutet, immer wieder scheinbare Rückschritte auszuhalten und das
Suchen so lange zu begleiten, bis ein Sich-Trennen möglich wird.
Das ablösende Sich-Trennen mündet aber schon in eine vierte Phase, da
es die Ahnung einer Alternative voraussetzt, d.h. ein Gefühl für eine
neue Möglichkeit des Empfindens und Handelns.
3.4 Die Phase des neuen Selbst- und Weltbezuges
In der Phase des neuen Selbst- und Weltbezuges geht es
nicht nur um das Entdecken neuer Möglichkeiten, sondern um das Erreichen
einer emotionalen Sicherheit, nach der Bewältigung der vorhergehenden
Phasen, Ungewissheiten aushaken und sich neuen Anforderungen des (Arbeits-)Lebens
stellen zu können. Kast: "Der neue Selbst- und Weltbezug zeichnet sich
auch dadurch aus, dass der Verlust jetzt akzeptiert ist, dass viele Lebensmuster,
die sich ... eingespielt haben, "verlernt" sind und eben neue Lebensmuster
an ihre Stelle treten" (ebd., S. 84). Das, was sich in diesem Zitat so
einfach anhört, ist langandauernde und mühsame psychische Schwerstarbeit.
Dies im Hinterkopf zu behalten, hilft der Supervisorin, scheinbare Durststrecken
und Phasen der Stagnation nicht mit Ungeduld, sondern mit Achtung gegenüber
dem individuellen Trauerprozess des jeweiligen Supervisanden zu begegnen.
Ein Heilpraktiker mit einer - seiner Ansicht nach - recht erfolglosen
Praxis möchte in der Supervision an seiner Arbeitsweise und seinem Umgang
mit den Patienten arbeiten. Nach 22 Sitzungen, in denen es immer wieder
darum ging, dass er beruflich eigentlich etwas ganz anderes tun möchte,
sich dafür aber von dem alten, auch von der Familie vermittelten Wunschbild
der eigenen Praxis in einem helfenden, heilenden Beruf verabschieden müsste,
teilt er mir ohne jede Vorbereitung mit, dass er einen Lehrgang zum Wirtschaftsberater
belegt hat und seine Praxis in Kürze auflösen will.
Nach einer Begleitung des Überganges in der Supervision kann sich der
Supervisand nun, nachdem er vorher immer wieder um eine Verlängerung des
Prozesses gekämpft hat, nach der vollendeten 35. Sitzung einen Abschied
von der Supervision und mir vorstellen.
Wie jedes Phasenmodell, ist auch das Modell der Trauerphasen nach Kast
nicht gradlinig, sondern eher als Bild einer Spirale vorstellbar. Die
Phasen werden nicht nacheinander abgehakt, sondern einzeln durchlitten,
wiederholen sich, tauchen später noch einmal wieder auf. Wird eine Phase
der Verarbeitung übersprungen, wird sie zu einem späteren Zeitpunkt Inhalt
der Trauerarbeit. Dazu noch einmal aus der Supervision mit dem Heilpraktiker:
In der Sitzung nach der Ankündigung des Berufswechsels kommt der Supervisand
niedergeschlagen zur Supervision. Er wurde beim Zugfahren Zeuge eines
Selbstmordes und müsste in der Hektik der Umleitung des Berufsverkehrs
an den einzelnen Leichenteilen vorbei, um den Zug im Sinne eines zügigen
Weiterkommens zu wechseln. Nachdem ich ihn darauf angesprochen hatte,
dass dieser Mensch wohl abrupt und ohne viel Abschied aus der Welt geschieden
ist und ob es wohl Parallelen zu seinem plötzlichen Wechsel gäbe, ging
es noch einmal intensiv um Gefühle der Traurigkeit und auch der Enttäuschung,
die mit dem Abschied, nicht nur vom Berufsfeld, sondern auch von den einzelnen
Menschen seines alten Umfeldes verbunden waren.
Die Phase der Neuorientierung ging in diesem Prozess zu schnell. Durch
die Begeisterung des Neuanfangs blieb der Abschied von der alten beruflichen
Identität "auf der Strecke", konnte aber durch das schreckliche Erlebnis
mit einer brutalen Form des Abschieds zu einem späteren Zeitpunkt intensiv
empfunden und bearbeitet werden.
Eine Supervisandin meldet sich nach der 14. Sitzung nicht mehr. Obwohl
der Prozess bis jetzt auch in ihrer Rückmeldung äußerst hilfreich und
intensiv war, zeigt sie auf Versuche der Kontaktaufnahme meinerseits keine
Reaktion. Nachdem ich zunächst einmal wieder mit meiner Wut und Enttäuschung
zu tun hatte, kam ich mit Hilfe meines Lehrsupervisors auf den Gedanken,
dass sie den Prozess einfach nicht beenden wollte (eine Verlängerung hätte
nicht angestanden) und sie sich deshalb die Tür und damit die letzte Sitzung
offengehalten hat. Damit verpasst sie allerdings die Chance, eine wichtige
Phase für sich abzuschließen und zu beenden, um frei und offen für etwas
Neues zu sein.
Der Übergang zur Phase des neuen Selbst- und Weltbezuges ist hier gestoppt
worden. Die Supervisandin bewahrt den Prozess damit als in ihrem Leben
nach wie vor vorhanden. Er ist noch nicht beendet, ein Abschied von den
Themen, der Arbeitssituation und von mir hat nicht stattgefunden. Auch,
wenn es real zwischen der Supervisandin und mir keine Begegnung und Beziehung
mehr gab, bleibt ihre Illusion, durch Vermeidung des Abschiedes etwas
aufrechterhalten und einen Verlust vermieden zu haben. Kast: "0b es uns
gelingt, neue Perspektiven in unser Welt- und Selbsterleben zu bringen,
Todesbewusstsein auch als einen Aspekt unseres Selbstbewusstseins zu sehen,
oder ob wir zerbrechen, pathologisch trauern ... hängt im wesentlichen
davon ab, ob wir richtig zu trauern verstehen." (ebd., S. 21).
4. Regression und Progression in der Supervision
Der Rhythmus von Symbiose und Individuation spielt nach
Kast nicht nur in der frühkindlichen Entwicklung, sondern auch für den
erwachsenen Menschen während des gesamten Lebens eine zentrale Entwicklungsrolle.
Analog der dritten Trauerphase, der Phase des Suchens und Sich-Trennens,
erhält der Wechsel von Regression und Progression auch in der Supervision
eine Bedeutung und bildet die Grundlage für die professionelle und persönliche
Weiterentwicklung: "Supervisanden nehmen auch Abschied von Ich-Idealen,
illusionären Wünschen und Plänen, von überholten Lebensentwürfen etc.
Auch hier stirbt etwas und macht einen Trauerprozess notwendig, bevor
etwas Neues beginnen kann. In jeder neuen relevanten Verlusterfahrung
wird der alte Grundkonflikt zwischen Symbiose und Separation wieder aktiviert"
(Oberhoff 1994, S. 80).
Aber Supervision geht über die Begleitung der Trauer hinaus. Während der
Schwerpunkt der Trauerarbeit eindeutig die Regression, das Durcharbeiten
von zu bewältigenden Gefühlen ist, setzt die Supervision ihren Fokus stärker
auf die progressiven Anteile. "Wir betonen, dass die Aufmerksamkeit im
Kontext der Supervision nicht darauf gerichtet ist, pathologische Regressionen
zu diagnostizieren. Es geht vielmehr darum, dass der Wechsel von regressiven
und progressiven Tendenzen als Bestandteil der beruflichen Selbstreflexion
verstanden und dass seine selbstregulative Funktion durch die Supervision
geschützt wird" (Graf-Deserno & Deserno 1998, S. 39).
Da das eine ohne das andere aber nicht möglich ist, ist Trauerarbeit ein
Teilbereich der Supervision, der mir im Rahmen meiner supervisorischen
Tätigkeit immer wieder auch mit eigenen Themen begegnet ist.
Ein Einzelsupervisand, Logopäde in eigener Praxis, hat kaum Zugang
zu seinen Gefühlen. Starte ich eine Intervention in diese Richtung, weicht
er mir aus und entwickelt einen massiven Widerstand. Er berichtet in zynisch
und selbstironischer Weise über sich und seine Arbeit. Dabei ist er kaum
zu stoppen, führt einen Monolog voll abgehobener Bitterkeit. Bei mir gibt
es zwei Ebenen, zum einen die reale Arbeitsebene, meine Interventionen
in der Szene des Prozesses, zum anderen habe ich mit massiven Gegenübertragungsgefühlen
zu kämpfen. Meine Augenfangen plötzlich an zu tränen. Es ist keine allergische
Reaktion, ich kann mir diese Körpersensation zunächst gar nicht erklären
und versuche sie zu kontrollieren, zu unterdrücken. Je mehr ich das versuche,
um so intensiver wird der Tränenfluss, die Tränen rollen mir die Wange
herunter - ich kann sie nicht mehr überspielen, sondern muss mich, dem
verwunderten Supervisanden gegenübersitzend, stellen.
Ich interpretiere sie als Gegenübertragung und erläutere ihm, dass ich
in diesem Moment seine Trauer erlebe, seine Tränen weine. Ich schildere
dem Supervisanden, welche Gefühle die vorhergehende Szene bei mir ausgelöst
hat. Der Supervisand ist tief betroffen und nähert sich im weiteren Prozess
langsam seinen Gefühlen. Dieser Anteil der Supervision wurde derart raumgreifend,
dass ich Sorge hatte, das Setting der Supervision zu verlassen. Es gab
keinen Wechsel mehr zwischen Regression und Progression, sondern einen
für den Supervisanden auch nötigen Schwerpunkt in der Regression. Zur
Ebene der Arbeit kamen immer mehr biographische Anteile hinzu, so dass
wir an die Grenze zur Therapie gelangten. Nachdem für mich die Weiterführung
des Prozesses in Frage stand, fanden der Supervisand und ich eine für
die Fortführung des Prozesses hilfreiche Lösung. Er entschied sich für
eine Psychotherapie, um dort seine unbewältigten biographischen Konflikte
zu bearbeiten. In der Supervision richtete sich der Fokus ausschließlich
auf seine beruflichen Fragestellungen. In dem nachfolgenden Prozess gab
es zwar auch immer wieder regressive Phasen, der Wechsel zwischen Regression
und Progression war jedoch für die Bearbeitung und Verabschiedung von
alten Mustern im beruflichen Zusammenhang stimmig.
An dieser Supervisionsszene, die mich noch nachhaltig beschäftigt hat,
ist mir über das Phänomen der Gegenübertragung hinaus noch etwas zu meiner
Art der Trauerarbeit bewusst geworden. War diese Szene nicht auch ein
Ausdruck von identifikatorischer Trauer, in der es eben nicht nur um die
nicht gelebte Trauer des Supervisanden, sondern auch um meine eigene ging?
(Ich hatte in dieser Zeit den Verlust einer langjährigen Freundschaft
zu betrauern!)
Diese Gedanken ließen mich intensiv mit meiner Verantwortlichkeit als
Supervisorin auseinandersetzen. Ich kann und will meine eigenen Themen
mit der dazugehörigen Trauer nicht verdrängen und sie werden mir in meiner
supervisorischen Tätigkeit immer wieder begegnen. Das Bewusstsein darüber
ist wichtig, um eigene Gefühle verstehen zu können und sich mit dieser
Haltung der Anerkennung der eigenen Befindlichkeit soweit bei sich zu
befinden, dass man nicht mit dem Supervisanden verschmilzt, sondern die
Parallelität der Themen nutzen kann, um die Supervisanden besser zu verstehen
und zu begleiten.
"Wenn Abschiedlichkeit so radikal gefordert wird, dann muss auch Bindung
wichtig sein, und dann muss darüber hinaus wichtig sein, dass der Mensch
sich gehalten weiß" (Kast, 1999, S. 175). In solch einer Atmosphäre des
Gehaltenseins werden Interventionen der Supervisorin, die eher die Richtung
der Progression fördern, nicht als Verletzung oder Kränkung bewertet,
sondern eher als "sanfter Schubs" (vgl. Mahler 1978) empfunden. Wie kann
der "sanfte Schubs" in der Supervision, die ja über Trauerarbeit hinausgeht,
aussehen?
Analog der beiden Positionen der "genügend guten Mutter" und des "genügend
abgegrenzten Vaters" (Oberhoff 2000) habe ich mich in meiner Rolle als
Supervisorin in der Begleitung eines Phasenverlaufes zwischen Regression
und Progression in der Bandbreite zwischen Güte und Strenge erlebt. Eine
gütige Haltung hatte ich in Phasen der Bearbeitung von Trauer, streng
wurde meine Haltung, wenn in der Arbeitsbeziehung Grenzen überschritten
wurden. Dabei ist für mich "liebevoll" eher der Oberbegriff, der sowohl
gütige als auch strenge Verhaltenweisen und Interventionen umfasst. Je
nach Supervisand und Situation waren alle meine Interventionen auf einer
Linie zwischen diesen beiden Polen angesiedelt, wobei meine Grundhaltung
konstant blieb. Gelernt habe ich, wie wichtig es für die Supervisorin
ist, in der emotionalen Bewältigung von Veränderungsprozessen, also in
der Supervision als Trauerarbeit, viel Geduld aufzubringen, denn: Trauer
lässt sich nicht beschleunigen.
Summary
Coming to Terms with Change: Supervision and Bereavement
The thought of change and transformation can be fascinating.
But change is also always connected to separation and loss. The experience
of loss is not always äs dramatic äs the death of separation from a beloved
other. lt also makes for a significant part of our everyday lives: starting
a new job, breaking with old behavioral patterns, letting go off illusions.
All of these experiences contain a degree of loss or separation from the
familiär. Since bereavement is our way of psychically reacting to change
and transformation, we have to assume that professional supervision also
has to concern itself with the behavioral patterns connected with mourning.
Zabel explores to what extent Kast's (1999) phases of mourning can be
found during the Supervision process and what supervision can accomplish
in that respect.
Literatur
FREUD, SIGMUND (1913-1917): Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten. GW
Bd. X. Frankfurt/M.: S. Fischer
FREUD, SIGMUND (1915): Zeitgemäßes über Krieg und Tod. GW Bd. X. Frankfurt/M.:
S. Fischer
FREUD, SIGMUND (1917): Trauer und Melancholie. GW Bd. X. Frankfurt/M.:
S. Fischer
GRAF-DESERNO, SUSANNE & DESERNO, HEINRICH (1998): Entwicklungschancen
in der Institution. Frankfurt/M.: Fischer TB
HEIDEMANN, HEIJO (2000): Ich wollte mir was Gutes tun. Supervision 3,
S. 5-7
KAST, VERENA (1999): Trauer-Phasen und Chancen des psychischen Prozesses.
Stuttgart: Kreuz Verlag
MAHLER, MARGARETE S. (1978): Die psychische Geburt des Menschen. Frankfurt/M.:
S. Fischer
OBERHOFF, BERND (1994): Der frühkindliche Symbiose-Separationsprozess
in seiner Bedeutung für ein Konzept kreativen Lernens in der Supervision.
Supervision 25, S. 75-87
OBERHOFF, BERND (2000): Übertragung und Gegenübertragung in der Supervision.
Münster: Daedalus
REDDING MERSKY, ROSE (1999): Die trauernde Beraterin und die Beendigung
einer längerfristigen Beratung - und was ich daraus lernte. Freie Assoziation,
2, l, S. 53-72
VOLKAN, VAMIK & ZINTL, ELISABETH (2000): Wege der Trauer. Gießen: Psychosozial